Plötzlich mittendrin

Heute Morgen bin ich entland der Avenue of Stars zur Fähre geschlendert und nach Central gefahren. Dort wusste ich nicht so recht, was ich machen soll, also habe ich ein sehr teures Eis (in Hong Kong ist alles sehr teuer) gegessen und bin mal hier und mal da hin gelaufen, in einem Tempel gefühlt fast erstickt, weil es dort nur Räucherstäbchen und keinen Sauerstoff drin gab, durch kleine Straßen mit vielen Ständen und noch mehr Menschen gelaufen und anschließend zur "längsten Rolltreppe der Welt" gegangen, die - wie es sich herausgestellt hat aus vielen ganz normalen und teilweise gesperrten Rolltreppen besteht - Zwischendurch konnte man also immer wieder in Soho aussteigen und rumlaufen, sodass ich auf meinem Weg nach oben einen Supermarkt besichtigt habe. Hier könnte ich echt exakt die gleichen Produkte kaufen wie zu Hause... oder in England... oder in den USA... oder in Frankreich. Man merkt schon, dass das Clienté hier hauptsächlich Geschfätsmänner und -frauen aus der westlichen Welt sind, die es sich 1) leisten können und 2) auf nichts von daheim verzichten wollen. Da die Schlange an der Kasse aber noch länger war als die Rolltreppe, habe ich lieber die Fahrt fortgesetzt und bin dann von oben wieder den Berg herunter gelaufen. Dabei bin ich aus Versehen an coolen Fotolocations und in einem Zoo gelandet! Also bin ich wieder mit der Fähre rüber gefahren und die Straße entlang in Richtung Temple Street gelaufen. Auf dem Weg habe ich noch Dumplings gegessen und Sojamilch getrunken (das ist schon toll hier, dass nicht alles, was Soja / Tofu ist, ausschließlich von Veganern konsumiert wird!). Die Temple Street war leider genau wie alle anderen Märkte um 16:30 Uhr noch im Aufbau, sodass ich wieder zurück zu HK Island und ganz schnell mit der teuren Peak Tram zum Victoria's Peak (das ist die berühmte Stelle an der alle Fotos von Hong Kong von oben gemacht werden) gefahren bin. Achso, ich hatte es so eilig, weil ich denn (sehr unspektakulären) Sonnenuntergang nicht verpassen wollte. Nach meiner Fotosession wollte ich dann eigentlich runter laufen, aber der Weg war unbeleuchtet und sah sogar mir zu sketchy aus, sodass ich mit der Peak Tram wieder bergabwärts gefahren bin. Das war auch quite a ride, denn man fährt rückwärts runter und es ist sehr steil! Danach wollte ich eigentlich wieder zurück zu dem Märkten (ganz schönes Hin und Her heute, ich weiß), also habe ich mich auf den ganz normalen Weg zur Fähre gemacht, bin in den Tunnel zum Pier gelaufen und dachte: "Ah, die Demonstranten haben wieder Plakate dort hin gemacht, wo heute Mittag die letzten Reste übermalt wurden" "Oh, da ist ja einer der Plakate hinklebt... jetzt habe ich wirklich einen Demonstranten gesehen" "Was verkaufen die denn da? Kleine Anhänger... finanzieren die sich so? Soll ich einen kaufen?" "Heute haben aber viele Leute Masken an..." und dann haben die Menschen im Tunnel plötzlich alle gleichzeitig irgendetwas gesagt und ich dachte "Oh shit, das IST ein Protest, ich glaube ich drehe lieber um" und als ich dem Strom entgegen lief, ist mir erst aufgefallen, wie viele Leute Masken tragen (ihr fragt euch vielleicht, wie mir das nicht direkt auffallen konnte, aber das ist nach sechs Wochen in asiatischen Städten halt nichts Besonderes mehr), Schilder tragen oder amerikanische Flaggen in der Hand halten. Habe sogar kurz mit einem gesprochen, super freundlich. Ich bin dann raus und mit Umweg wieder Richtung Pier gegangen. Dabei habe ich auch einige Sanitäter oder Journalisten gesehen, die mit ihren gelben Warnwesten genau so aussehen wie auf den Bildern in der Zeitung. Aus der Ferne habe ich dann gesehen, wo dieser Tunnel scheinbar hin führte, denn dort waren viele tausend Menschen. Ebenfalls mit USA-Flaggen und so weiter. Zum Glück waren die Demonstranten heute ja positiv gestimmt und nicht auf Vandalismus und Zerstörung aus. Der Vandalismus ist übrigens durchaus sichtbar in der Stadt: Ampeln in der Nähe von U-Bahnstationen sind zerstört, viele Graffitis oder frisch übermalte Wände, abgeklebte Wände / Automaten, frisch betonierter Boden, an den Stellen, wo die Steine aus der Straße gerissen wurden. Jedenfalls wurde ich dann von einem Russen angequatscht, der mir noch paar Tipps für Hong Kong gegeben hat, aber irgendwie komisch war, sodass ich ihm vielleicht nicht immer ganz die Wahrheit gesagt habe und froh war als ich ihn wieder los wurde. Jedenfalls sind wir dann mit der Fähre wieder rüber gefahren und auf dem Weg zum Hostel direkt in die nächste Versammlung  gestolpert, nur eine Sekunde nachdem ich mich gefragt habe, warum auch auf dieses Gebäude wieder mehrere Laserpointer gerichtet waren... So viel zum Thema "Eigentlich bekommt man gar nichts mit außer Graffitis und dass die U-Bahnstation an der Uni gesperrt ist". Schon wieder saßen mindestens hunderte junge Demonstranten in (Sport-)Anzügen mit Masken dort, jemand hat eine Rede gehalten (sowohl auf kantonesisch als auch auf Englisch) und es wurde kollektiv gerufen "Free PolyU" etc. Es war sehr friedlich und ich habe mich noch gefragt, warum gar keine Polizei zu sehen ist. Als wir dann aber um die nächste Ecke gelaufen sind, waren dort Polizeibusse und Polizisten mit Kampfanzügen, Waffen und eine junge Frau wurde verhaftet. Von dort sind wir dann lieber schnell weg und ich war nicht unfroh als ich wieder im Hostel war. Gut, dass ich so lange überlegt habe, ob es denn sicher ist nach Hong Kong zu gehen... Ich bin dann abends nochmal kurz raus und wenn man nicht wirklich an den Stellen ist, bekommt man dennoch nichts mit. Eine Erfahrung ist es auf jeden Fall gewesen.